Egon Wüst (1911-1995). Auch Egon Wüst wollte, wie es in dem Stück „Die Unsichtbaren“ über Harald Kreuzberg heißt: tanzen, tanzen und immer nur tanzen. Und im Wesentlichen ließ man ihn auch tanzen – aber eben nicht immer.
In Berlin besuchte der am 23. Februar 1911 als uneheliches Kind einer Haushälterin zur Welt Gekommene die Ballettschule von Victor Gsovsky. „Seine Künstlerkarriere begann W. als Revuetänzer in dem 1928 neu eröffneten zweiten Berliner Kabarett ‚Eldorado‘. Schnell avancierte der ausgesprochen schöne, damals noch minderjährige Tänzer zum Star dieses Homosexuellen- und Transvestiten-Lokals“, schreibt Klaus Sator in „Mann für Mann“. Während der NS-Zeit war er an verschiedenen Theatern z. B. in Essen und Bremen engagiert, gründete das „Egon-Wüst-Ballett“ und wirkte als Tänzer in Filmproduktionen mit. Doch auch er wurde zeitweilig im „Dritten Reich“ unsichtbar: „Wegen seiner Zuneigung zu Männern wurde W. während der NS-Zeit wiederholt verfolgt. Im November 1933 wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen ‚widernatürlicher Unzucht‘ eingeleitet. Wie viele seiner in der damaligen Tanzmetropole Berlin wirkenden Tänzerkollegen (siehe Alexander von Swaine), saß auch W. 1934 im KZ Lichtenburg bei Torgau ein.“ Über die unmenschlichen Haftbedingungen in diesem Konzentrationslager berichtet die derzeitige Leiterin der Gedenkstätte Melanie Engler in dem Dokumentarfilm über Alexander von Swaine „Ein Faun unter Menschen“. Sie spricht von Zivilisationsbruch, Gewalt und Sadismus in diesem Konzentrationslager und führt aus, dass die Lagerinsassen beim sogenannte „Lagesport“ mit einer derartigen Brutalität zum Ausführen der „Übungen“ angetrieben wurden, dass sie bei einzelnen Häftlingen bis zum Tod führten. „Seiner Kollegin Lilian Carina zeigte er (Egon Wüst) die Spuren der Misshandlungen, denen er dort ausgesetzt war: Narben auf Rücken und Armen, die von Schlägen und von den durch zerdrückte Zigaretten herrührenden Brandwunden stammten.“
Auch wenn die Narben auf dem Körper verheilt sein mögen, die inneren Narben wird er sein weiteres Leben lang mit sich „herumgetragen“ haben.
Egon Wüst starb am 9. Juli 1995 in Bad Schwalbach. Das Deutschen Tanzarchiv Köln beherbergt heute die „Sammlung Egon Wüst“.
Ralf Stabel
Quelle: Mann für Mann: Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum, Hrsg. von Bernd-Ulrich Hergemöller, Nicolai Clarus u.a., LIT 2010