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Tile Rössler

(geb. 1907, gest. 1959)
„Mit Schreiben vom 11. Juli 1933 teilen die Leiterinnen der Wigman-, Trümpy- und Palucca-Schule ihren Schülern mit, dass sie den neuen NS-Verbänden beigetreten sind. Damit unterwerfen sie sich automatisch und wissentlich auch den antisemitischen Ausrichtungen der Goebbels’schen Kulturpolitik. In diesem Zusammenhang wird heute Palucca der Vorwurf gemacht, dass sie ihre Schulleiterin Tile Rössler entlassen habe, die dann nach Palästina emigriert sei. Die Trennung von jüdischen Mitarbeitern wiegt schwer, weil mit ihr die Ausgrenzung beginnt, die in der ‚Endlösung der Judenfrage‘ münden wird. Deshalb sind diese Vorgänge um Palucca hier zu beleuchten.

Es ist wahr, dass Palucca aufgrund des ‚Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ Tile Rössler entlässt, entlassen muss. Tile Rössler ist danach Buchhalterin in einer Privatbibliothek und fährt noch 1933 mit einem Touristenvisum nach Palästina. Hat Palucca Schuld auf sich geladen? Ein Fakt könnte diese Frage relativieren: 1947 erhält Palucca ein Foto von Tile Rössler mit der Aufschrift: ‚Nach einer Ewigkeit in alter Liebe, Deine Tile‘. Es ist kaum anzunehmen, dass sie sich bei Palucca so liebevoll in Erinnerung bringen würde, wenn Palucca sich nicht korrekt verhalten hätte. Haben Palucca und ihre Freunde womöglich Anteil an Tiles Unterbringung in der erwähnten Privatbibliothek und an der Ausreise? Um wessen Bibliothek handelt es sich? Fragen, die leider noch nicht beantwortet werden können, aber beantwortet sein sollten, bevor Vorwürfe formuliert werden. Palucca selbst berichtet nach der Entlassung von Tile Rössler in einem Briefwechsel mit ihrem Agenten Arthur Bernstein, dass sie die Leiterin ihrer Schule habe entlassen müssen und es auch sonst nicht einfach sei – gerade für sie als Pädagogin nicht.“ (1)

„Unter den von den Nationalsozialisten vertriebenen Neuankömmlingen aus Deutschland ist auch Tile Rössler (Tehila Ressler 1907 – 1959), sie gehört zu jenen (Tanz-)Künstlerinnen, die 1933 sofort ihre Positionen verloren haben. Kein Qualitätsmerkmal konnte den ‚Makel ihrer rassischen Herkunft‘ vergessen machen. Nicht die tänzerische, nicht die pädagogische Tätigkeit. Gret Palucca, jene bedeutete (sic!) Vertreterin des Freien Tanzes, die sich am leichtesten den jeweils neuen politischen Gegebenheiten anpasst, deren Schule in Dresden Rössler höchst erfolgreich führt, kann auf sie, den Erfordernissen entsprechend, schnell verzichten. Rössler, durch die übrigens Franz Kafka Dora Diamant kennen lernte, ist vielseitig und wendig. Sie geht nach Tel Aviv, gründet ein eigenes Tanzstudio und weiß sich rasch an die neuen Gegebenheiten anzupassen, bringt aber, künstlerisch gesehen, einen Teil Paluccas, und damit jene stilistische Ausprägung des Freien Tanzes mit sich, die dem Bauhaus nahe steht und die gleichsam als abstrakte Variante des Freien Tanzes von Bildenden Künstlern wiederholt festgehalten wurde.“ (2)

Quellen:
(1) Wörtliches Zitat, Kapitel „Die Trennung von Schulleiterin Tile Rössler und von der Agentur Bernstein“, aus: Ralf Stabel: Palucca, Ihr Leben, Ihr Tanz, Henschel Verlag, Leipzig 2019, S. 56f
(2) Wörtliches Zitat, "Wie tanzt nun ein Kamel?", Autorin: Gunhild Oberzaucher-Schüller, 11. Januar 2013, auf tanz.at, Buchbesprechung zu: Wie tanzt nun ein Kamel?: Die Geschichte der Orenstein-Familie und die Erfindung des modernen israelischen Tanztheaters, Gaby Aldor, Mandelbaum Verlag 2012