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Lisa Czobel

Die spätere Tanzpartnerin Alexander von Swaines, Lisa Czobel, macht in den 1930er Jahren Abenteuerliches durch. Ab 1930 gibt sie eigene Kammertanzabende und ist Solotänzerin an der Folkwang-Tanzbühne in Essen. 1932 tanzt sie das junge Mädchen in der Uraufführung von Kurt Jooss’ Ballett „Der grüne Tisch“, das beim Choreografie-Wettbewerb in Paris im selben Jahr bekanntlich den 1. Platz erringt. In der Spielzeit 1933/34 geht sie mit den Ballets Jooss auf Tournee. Von 1934 bis 1938 ist sie Solotänzerin an den Städtischen Bühnen in Florenz. 1939 kehrt sie nach Deutschland zurück und wird als sogenannte Halbjüdin – der Vater war ungarischer Jude – sofort mit Auftrittsverbot belegt. Sie verbringt die folgende Zeit bei der Mutter in Offenbach, bis eines Tages in diesem Jahr die Gestapo erscheint und sie mit einem Spionageauftrag konfrontiert, um sie als Spitzel anzuwerben. Sie soll als deutsche Agentin in der Schweiz arbeiten. Aufmerksam ist man auf sie geworden, weil ihr Pass bei der Wiedereinreise nach Deutschland kurzzeitig eingezogen worden war und darin die Stempel ihrer Reisen auf Weltläufigkeit und Sprachkenntnisse hinwiesen. Als »Gegenleistung« bietet man ihr drei wichtige Dinge an: das Engagement in Berlin, das sie wegen ihrer jüdischen Herkunft nicht hatte antreten können, Devisen in verschiedenen Währungen und eine unbegrenzte Anzahl von Reisen zwischen der Schweiz und Deutschland. Dass man ihr damit gleichzeitig das Überleben in Deutschland anbietet, wird auch ihr klar sein. Doch Lisa Czobel handelt völlig unerwartet, bemerkenswert mutig und sehr weitsichtig. Mit zehn Reichsmark in der Tasche nutzt sie das noch in ihrem Pass befindliche Rückreisevisum von ihrer letzten Reise in die Schweiz und verlässt Deutschland umgehend. Eines Nachts im Herbst 1939 besteigt sie um Punkt Mitternacht den Zug nach Zürich via Basel mit ihren wenigen Habseligkeiten: Kostüme und Platten. Kurz zuvor wirft sie noch einen Brief an die Gestapo ein. Sie weist deren Spionage-Ansinnen zurück und unterschreibt: »Mit vorzüglicher Hochachtung«. Kein »Heil Hitler«. In Zürich richtet eine bekannte Familie der 33-Jährigen eine Bodenkammer ein. Gerettet! Vorerst. Denn auch die Schweiz weist aus. Dreimal bekommt Liza Czobel nach je drei Monaten die Ausreiseaufforderung. Dann müsste sie eigentlich das Land verlassen. Doch in dieser nahezu ausweglosen Situation fasst sich der erst 23-jährige Tänzer Jack Menn ein Herz, geht mit Lisa Czobel zu verständnisvollen Mitarbeitern in den verantwortlichen Behörden und beschafft ihr eine Arbeits- und damit Aufenthaltserlaubnis für die Schweiz, indem er nachweist, dass er nur mit ihr, und das heißt, mit keiner Schweizer Tanzpartnerin, arbeiten kann. Lisa Czobel erinnert sich: »Er war so ein echter Schweizer, mit dem Bewußtsein, daß die Schweizer ein Recht haben, frei zu reden, frei zu handeln.« Am 1. August 1940, am Schweizer Nationalfeiertag, bekommt sie die ständige Aufenthaltserlaubnis. Das ist nicht nur eine Geste. Das ist Lebensrettung in letzter Sekunde.

Ralf Stabel

Biografisches

Lisa Czobel (1906-1992) in Bamberg geboren; 1925 Ausbildung an der Trümpy-Schule in Berlin; tanzt in der Gruppe von Vera Skoronel; 1928/29 in Paris Studium bei Préobrajenska und Egorowa; ab 1930 eigene Kammertanzabende und Engagement bei der Folkwang-Tanzbühne; 1932 Kreation des jungen Mädchens im Grünen Tisch; 1933 emigriert sie mit den Ballets Jooss ins Ausland; 1934-38 vorwiegend in Italien tätig; 1937/38 unternimmt sie eine von Scherch und Cocteau geleitete Schweiztournee als Prinzessin in der Geschichte vom Soldaten; 1940-44 Solotänzerin in Bern; 1945/46 unter H. Rosen in Basel engagiert; 1947/48 als Pädagogin in den USA tätig; 1949 Rückkehr nach Deutschland, wo sie in Heidelberg unter der Leitung von Karl Bergeest arbeitet, den sie später heiratet; 1951-56 in Köln engagiert, dort auch als Choreographin tätig; 1950-65 tanzt sie parallel zu ihren Theaterengagements mit Alexander von Swaine zusammen, mit dem sie durch alle fünf Kontinente auf Tournee geht.  (siehe tanzdrama 15, S. 29)

Quellen: Ralf Stabel: Alexander von Swaine, Tanzende Feuerseele, Henschelverlag 1995, und tanzdrama 42